SCHONIMMERGRÜN
Nachruf auf einen Freund und Mitstreiter von Franz Kabelka
Carsharing war als Begriff noch nicht erfunden worden, da lebte er ihn schon.
Er, das war Dr. Walter Widder.
Welch ein Verlust! Und welch ein Anlass, sich zu erinnern …
Anno 1990 – erstmals hatte die Liste Feldkirch Blüht bei den Gemeindevertretungswahlen einen Sitz im Stadtrat errungen, den ich fünf Jahre lang innehatte – , experimentierten wir Grünen noch gerne damit, gängige Denk- und Verhaltensmuster zu durchbrechen. Dennoch war es auch damals nicht alltäglich, dass einem einer seinen PKW vors Haus stellte und auf unbestimmte Zeit zur freien Verfügung überließ. Ich trug mich damals mit dem Gedanken, künftighin autofrei zu leben. Und obwohl ich in der Stadt wohnte und Walter droben auf dem Schellenberg, wollte er zu meinen Gunsten auf seinen roten VW Golf verzichten, damit mir der Verkauf des eigenen PKW leichter fiele. „Nur für die Übergangszeit“, meinte er, „bis du dich daran gewöhnt hast.“ Am Ende stand Walters Wagen dann über ein Jahr vor meinem Haus; nur selten, etwa wenn er Josef S. half, seine Geißen zu transportieren, holte er die Kiste bei mir ab. Und natürlich kam er dafür immer per Fahrrad, egal bei welchem Wetter. Nach einem Jahr gab ich ihm seinen Wagen zurück, mittlerweile konnte auch ich gut darauf verzichten.
Walter, von Beruf Pathologe, ein nüchtern naturwissenschaftlich Denkender also, war angesichts seiner fast schon naiv anmutenden Uneigennützigkeit selbst in grünen Kreisen als ein bisserl kauzig verschrien. Mit seiner Frau Britt-Marie lebte er auf einem bescheidenen Bauernhof, von wo aus er tagtäglich den Blick auf die Schönheit des Ruggeller Rieds genoss. Walter protzte nicht, prahlte nie. Der einzige Luxus, den er sich meines Wissens gönnte: gute und, ergo, durchaus teure Weine. Der Spruch Life is too short to drink bad wines – er stammt nicht von ihm, hätte es aber durchaus können. Ansonsten lebte er, der aus Wien Stammende, bescheiden in Vorarlbergensischen Landen, als wäre das seit jeher seine Bestimmung gewesen.
Als ich meine Stadtrattätigkeit für Feldkirch Blüht begann, gab es im Feldkircher Rathaus niemanden, auf dessen oder deren Hilfe ich hätte zurückgreifen können, von einer eigenen Umweltbeauftragten konnte man damals nur träumen. Walter aber fand, man dürfe mich nicht alleine lassen in dieser Situation und stellte – glaubt es oder nicht! – ein ganzes Jahr lang seinen Beruf als Arzt ruhend, um mich unentgeltlich unterstützen zu können.
Gemeinsam besuchten wir Biobauernhöfe in der Schweiz, machten uns schlau, was die Effizienz von Schilfkläranlagen betraf, organisierten den Widerstand gegen Straßenbau- oder Tunnelprojekte. Auch als wir zusammen Anfang der Neunzigerjahre mit dem Zug nach Schweden aufbrachen, um dort zu fischen und zu wandern – mit Schachbrett und Querflöte immer dabei –, war klar: Er würde vorgeben, welchen ökologischen Betrieb wir zu besichtigen hatten (so wie jene Ziegenfarm, wo das beiliegende Foto entstand).
Walter, lieber Walter: Du warst ein Grüner der ersten Stunde! Wer, wenn nicht du! Grün, das war, laut unserer damaligen Farbenlehre, die Farbe der Hoffnung. Obwohl wir dann, aus welchem Grund auch immer, ein anderes, regionaleres Label zur politischen Identifikation wählten und uns Feldkirch Blüht nannten. Ach, die Grünen!, hieß es oft genervt in der Stadtvertretung oder im Stadtrat, wenn wir wieder einmal in einer konkreten Angelegenheit auf lästige Prinzipien wie Nachhaltigkeit insistierten. Was andere als Abwertung erlebten, war für Walter ein Kompliment. Selbst Sprüche wie „Wir waren schon grün, lange bevor es euch Grüne gegeben hat“ konnten ihn nicht aus der Ruhe bringen. Letzteres beanspruchten übrigens ausgerechnet jene Förster und Großbauern, die seitens der tiefschwarzen Mehrheit nur deshalb im Umwelt- oder im Landwirtschaftsausschuss saßen, um dort ihre angestammten Pfründe zu verteidigen.
Böcke, zu Gärtnern geworden …
Walter hat sich durch Attacken und Untergriffe seitens des politischen Gegners nie erschüttern lassen. „Irgendwann werden sie’s schon verstehen“, meinte er, milde lächelnd. Ja, genau so tickte er, der hoffnungslose Optimist. Nein, der immerzu Hoffnungsvolle! Der nie zum Opportunisten wurde.
Wodurch genau sich dieses U hoch drei – das urig-ursächliche Urgrün – in ihm herausgebildet hat? Ich weiß es nicht mit Bestimmtheit, dafür kannte ich sein früheres Leben dann doch zu wenig. Aber seine ausgeprägte Liebe zur Natur – unter anderem war er auch beim Österreichischen Alpenverein aktiv und betrieb selbst eine kleine Landwirtschaft – spielte dabei vermutlich eine bedeutsame Rolle.
Was ich hingegen mit absoluter Sicherheit weiß: Dieser Walter Widder war das, was man einen feinen Kerl nennt. Für mich war er Freund, Berater und politischer Weggefährte in einem, mit jenem wunderbaren, weil so seltenen Hang zur schonungslosen Ehrlichkeit! Selbst, wenn er einmal im Schach verlor (ein Spiel, das wir beide gerne, aber leider viel zu selten, spielten, am liebsten in seinem schattigen Garten in Oberfresch) verharrte er nie in negativer Stimmung, sondern schaltete augenblicklich um auf Fehleranalyse, auf Selbsthinterfragung. Die Schuld für eine Niederlage beim anderen zu suchen, war seine Sache nicht.
Lieber Walter: Auch wenn wir uns in letzter Zeit ein wenig aus den Augen verloren hatten, möchte ich behaupten, dass du für ein blühendes Feldkirch – und darüber hinaus – mehr geleistet hast als so manch anderer. Vielleicht, weil du radikal warst in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes: dem Trieb der Wurzel folgend. Jenen wurzelhaften Trieben …
Und Grün warst du ja ohnehin seit jeher: Schonimmergrün.
Franz Kabelka
Feldkirch, im November 2021